Bereits kurz nach der Geburt werden Sie es bemerken: Ihr Baby greift nach Ihnen, Ihrer Kleidung – und mit zunehmender Zeit nach immer mehr Gegenständen, die in seine Reichweite gelangen. Vielleicht fragen Sie sich, was das zu bedeuten hat und wie Sie darauf reagieren sollten. Schließlich ist nicht jeder Griff – denken Sie nur an den nach Ihren Haaren – angenehm und einige erscheinen darüber hinaus mindestens wagemutig. Was also hat es mit der Greiffreude Ihres Babys auf sich?
Greif- und Saugreflexe bei Babys
Entwicklungsbiologisch ist bekannt, dass Babys mit einem Greif- und Saugreflex auf die Welt kommen. Beide Reflexe sind ab dem ersten Lebenstags des Kindes vorhanden, verschwinden mit zunehmender Entwicklung jedoch wieder. Der Greifreflex wird immer dann ausgelöst, wenn ein Objekt die Handinnenfläche des Babys berührt. Das führt dazu, dass die Finger sich zur Faust schließen. Der Saugreflex läuft ähnlich ab: Berührt ein Objekt Lippen oder Zungenspitze des Babys, so beginnt es reflexartig zu saugen.
Interessant ist dabei, dass die beiden Reflexe häufig in Verbindung miteinander auftreten. So greift der Säugling vielfach nach den Objekten, an denen er saugt. Auch umgekehrt kann eine solche Verbindung häufig festgestellt werden: Wird der Greifreflex ausgelöst, öffnet sich der Mund des Säuglings.
Beide Reflexe markieren eine erste Stufe in der motorischen Entwicklung des Kindes. Der Greifreflex verschwindet für gewöhnlich im fünften oder sechsten Lebensmonat, der Saugreflex sogar bereits im dritten bis vierten.
Das Greifen endet nicht
Wahrscheinlich wissen Sie aus eigener Erfahrung, dass die Greiffreude des Babys mit dem Ende des Greifreflexes nicht verschwindet. Vielmehr ist es so, dass sie dann erst richtig zu beginnen scheint: Das Baby greift nach immer mehr Gegenständen und scheint dabei einige Freude zu empfinden. Warum das so ist, lässt sich entwicklungspsychologisch erklären. Jean Piaget hat in seiner Theorie der kognitiven Entwicklung dargelegt, wie sich die geistigen Fähigkeiten des Menschen im Laufe seines Lebens entwickeln. Zu Beginn der Entwicklung steht die Schulung der sensumotorischen Intelligenz: Der Säugling übt seine angeborenen Reflexe aus und geht dann über in eine Phase, in der er das zuvor reflexhafte Verhalten bewusst anwendet und ausweitet. Dabei findet er heraus, was in welchem Falle als Reaktion etwa auf sein Greifen geschieht. Angenehme Reaktionen lernt er so, bewusst herbeizuführen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Geräusch einer Rassel, wenn diese gegriffen wird: Der Säugling findet heraus, dass er dieses Geräusch durch sein Greifen auslösen kann – und wird das immer häufiger tun, wenn ihm diese Reaktion gefällt.
Im Rahmen einer Erkundung der Umwelt und der eigenen Möglichkeiten wird das so erlernte Verhalten auch an vielen anderen Gegenständen erprobt, was – das wird das Kleinkind herausfinden – zu ganz verschiedenen Ergebnissen führt.
Das ständige Greifen nach allen denkbaren Objekten ist also ein normaler Entwicklungsschritt des Kindes. Er ist nötig, um später komplexere Tätigkeiten ausführen zu können – und sollte daher nicht unterbunden werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass Sie Ihr Kind nicht vor gefährlichen Situationen schützen sollten. In dieser Phase ist es vielmehr ganz besonders wichtig, gefährliche Gegenstände außer Reichweite des Kindes aufzubewahren, damit es durch das Greifen nicht zu Verletzungen kommt.